Die Unendlichkeit des Schmerzes
Die Unendlichkeit des Schmerzes
Main-Post Bad Kissingen, 18. Oktober 2008
Christian-Presl-Stiftung unterstützt Selbsthilfegruppe Verwaister Eltern
Wenn ein Kind ums Leben kommt, stirbt auch ein Lebenstraum der Eltern. Den Verlust zu verkraften, dauert oft Jahre, manchmal ein ganzes Leben. Große Unterstützung von Angehörigen und Freunden erfahren die Eltern dann unmittelbar nach dem tragischen Ereignis. Später wird die Trauer der Angehörigen aber oft nicht mehr beachtet, ja manchmal als „nicht normal“ eingestuft. Genau hier setzt Diakon Arno Wehner mit der „Selbsthilfegruppe für Verwaiste Eltern“ der Pfarrgemeinde Herz-Jesu an.
„Wir lachen zusammen und wir weinen zusammen“, beschreibt eine Mutter treffend das, was sie im Zusammentreffen mit anderen Eltern an Positivem erfährt. Die „Gespräche mit Gleichgesinnten“ seien für sie von großer Bedeutung, „denn nicht jeder kann meine Trauer verstehen“. Vor drei Jahren verlor die Frau ihren 17-jährigen Sohn bei einem Mopedunfall. „Man weigert sich einfach, das anzunehmen“, beschreibt sie die ersten Stunden, nachdem die Polizei ihr damals die schwerwiegende Nachricht überbracht hatte. „Und dann kapselt man sich erst mal ab.“
Eine andere Frau erzählt von ihrer Tochter, die mit 35 Jahren an Krebs gestorben ist. Wenn man das Schicksal von Maria F. (Name von der Redaktion geändert) hört, stockt einem der Atem: Vor 30 Jahren verlor sie ihren Mann bei einem Arbeitsunfall und musste sich mit ihren beiden Söhnen allein durchs Leben kämpfen. Drei Jahre später starb dann einer der Söhne bei einem Verkehrsunfall. Ereignisse, die in der kurzen Abfolge kaum zu verkraften waren. Die Trauer wog zentnerschwer und ließ sich über die Jahre kaum abbauen. Vor drei Jahren starb auch der zweite Sohn bei einem Verkehrsunfall – für Frau F. ein unbegreifliches Schicksal, mit dem sie noch heute hadert.
Am schmerzlichen Verlust ihres Sohnes haben auch Anita und Hans Obermann (Namen geändert) noch heute schwer zu tragen. In der ersten Woche bis zur Beerdigung hätten sich alle rührend gekümmert, sagt der Vater. Später habe die eigene Verwandtschaft ihn und seine Frau mit der Trauer im Stich gelassen. Ihr 30-jähriger Sohn hatte sich vor zweieinhalb Jahren zu einem sonnigen Urlaub in Italien verabschiedet, in den er zusammen mit der Motorrad-Clique aufbrach. Den Unfall an der Kreuzung eines Tiroler Ferienorts, den er nicht verschuldete und bei dem auch andere aus der Clique zu Schaden kamen, überlebte er als einziger nicht.
„Wir leben in einer kalten Welt“, sagt Anita Obermann. Während sich ursprünglich nahe stehende Personen von ihnen zurückgezogen hätten, gebe es in Tirol heute noch Menschen, die am Todestag Briefe schicken und erzählen, dass sie selbst Kerzen im Gedenken an den Sohn anzündeten.
Die Leute im Umfeld der Eltern gingen nach dem Todesfall zu bald zur Tagesordnung über, stellt Maritta Düring-Haas, Leiterin der Christian-Presl-Stiftung, fest. „Aber diese Menschen haben Spuren hinterlassen, man sollte über sie reden.“ Die Stiftung, die ins Leben gerufen wurde, um Hinterbliebenen von Unfallopfern mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, hat sich jetzt auch die Unterstützung der Selbsthilfegruppe Verwaister Eltern auf die Fahnen geschrieben.
„Ich habe zahlreiche Bücher gelesen, die voller Ratschläge waren. Trotzdem habe ich weiter gesucht. Aber ich wusste gar nicht, wonach ich suche“, sagt Anita Obermann. Erst als sie auf die Presl-Stiftung aufmerksam wurde, habe sie Linderung bei diesem Anliegen erfahren. „Es wäre gut gewesen, wenn ich diesen Kontakt schon früher gehabt hätte.“
Am Anfang der Trauer wollen die meisten Eltern aber „gar nichts hören“, ist die Erfahrung von Diakon Arno Wehner, dem Leiter der Gruppe, die sich jeden dritten Donnerstag im Monat im Pfarrgemeindezentrum trifft. Wenn sie den Weg zur Gruppe gefunden haben, seien sie bereit zu sprechen, wollen „sich frei reden“, sagt Wehner. Zuhören sei daher die wertvollste Eigenschaft, die man den Eltern im Gespräch bieten kann.
Wert legt der Diakon darauf, dass man die Gruppe nicht als kirchliche Einrichtung begreift. Es gehe dort nicht um Gott und die religiöse Praxis. „Gott wird’s schon richten“, würden zwar viele Menschen in solchen Fällen floskelhaft daher sagen. „Das Spiel ist aber offen, Gott ist ohnmächtig.“ Nach Wehners Auffassung seien die tragischen Vorkommnisse oft abhängig von Naturgewalten und zufälligen Ereignissen.
Informationen zur SHG Verwaister Eltern bei der
Pfarrgemeinde Herz-Jesu, Tel. 0971 699 828-0
(Verfasserin: Isolde Krapf)